02.07.2022
Wenn der Organist auf den Tasten liegt ...

… ist er entweder sehr müde oder er spielt Volumina des Komponisten György Ligeti (1923-2006).

Die Antwort auf die beiden Alternativen war bei der Orgelmusik zum Wochenschluss am 1. Juli zu erleben, denn es gab Orgelwerke zu hören und auch zu sehen, die anders waren als gewohnt. 
Doch bevor Nadal Roig i Serralta (Berlin) im wahrsten Sinn des Wortes alle Register zog und alle Tasten zugleich niederdrückte, waren leisere Töne angesagt. Auch von Ligeti war das Eröffnungsstück, das Ricercar per organo. Gleichmäßig schreitend zogen die Halbtöne durch das Kirchenschiff. Geheimnisvoll klang es, die Kraft der Orgel kam schon zum Tragen, bevor das Stück wieder verklang.
Gewiss überraschend war es, eine erkältete Nachtigall zu hören. So lautete der Titel des zweiten Stückes: Rossignol enrhumés von Mauricio Kagel (1931-2008). Wer zwischen den „erkälteten“ tiefen und rauen Tönen lauschte, entdeckte den Singvogel, der sich doch immer einmal auch in fröhlicheren Lagen bewegen durfte.
Viel Zeit, um über die Nachtigall nachzudenken blieb allerdings nicht, denn nun folgten die Volumina. Schon das Notenbild war ungewohnt. Kantor Christoph Hagemann ließ sein Exemplar des Stückes durch die Reihen der Besucher wandern, die vergeblich eine Note suchten, stattdessen schwarze Balken, Grafiken, Punktegewimmel zu sehen bekamen. Es ging um Klang, um Volumen, um Klangfarbe. Melodie und Rhythmus, die in gewohnter Weise Musik strukturieren, fehlten. Dafür aber ergaben sich Schwebungen der vielen zusammenliegenden Töne und Klangfarben, die nicht von dieser Welt schienen – oder eher in die Welt von Maschinen und Geräuschen gehören. Die ungewöhnliche Spielweise – manchmal lag Nadal Roig i Serralta mit beiden Armen auf den Manualen, manchmal mit den Handflächen, dann wieder zauberten und zappelten sich die Finger durch die Tasten – war ein Kunstwerk für sich. Und der Einladung des Kantors, auch mit den Augen zu genießen, waren einige auf die Seiten- und auch Orgelempore gefolgt. Am Ende des gewaltigen Stückes klang der Abend aus, auch wieder wörtlich. Der Orgelmotor war ausgeschaltet und die letzten gehaltenen Töne hauchten immer leiser werdend in das Kirchenschiff hinein.
Überrascht und beeindruckt verließen die Gäste die Kirche, nicht ohne die Werke und den Abend in ihren Gesprächen noch einmal Revue passieren zu lassen, manche bewundernd, manche nachdenklich. Musik ist einfach vielfältiger ...


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